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Fachartikel aus MECHATRONIK 1-2/2016, S. 32 bis 34

Trends zur Embedded World 2016

Embedded-Navi

Trend-Analyse Embedded Systems. Anlässlich der Embedded World – vom 23. bis 25. Februar 2016 in Nürnberg – hat sich MECHATRONIK zum Status quo des Marktes und zu Embedded-Technologien bei branchennahen Verbänden und Vereinen umgehört.

Miniaturisierung bei zugleich enormer Rechnerleistung, effiziente Kommunikation vernetzter, oft auch mobiler Systeme – die Entwickler eingebetteter Systeme müssen hohen Anforderungen gerecht werden, denn in entscheidender Weise müssen eingebettete Systeme funktionieren: Sie überwachen, steuern, regeln und vernetzen Hightech-Produkte in Echtzeit. In vielen Fällen sind sie funktionsbestimmend, oft sogar sicherheitskritisch. Darüber hinaus sind sie in der Regel miteinander vernetzt. Zunehmend werden sie zum Internet offen gestaltet.

Die Sicherheit elektronischer Systeme, verteilte Intelligenz, das Internet der Dinge und Lösungen für Zukunftsthemen wie E-Mobility und Energieeffizienz stehen als Schwerpunktthemen ganz oben auf der Agenda der Embedded-Branche, die sich Ende Februar auf der Messe Embedded World präsentiert – mit Hard- und Software, von Modulen bis hin zu Systemen.


„Nutzen der Datenverarbeitung“


Bild: Bitkom
Wolfgang Dorst (Bild: Bitkom)

Wolfgang Dorst, Bereichsleiter Industrie 4.0 beim Digitalverband Bitkom

MECHATRONIK: Wo liegen derzeitige Technologie- und Anwendungsschwerpunkte eingebetteter Hard- und Softwaresysteme?
Dorst: Softwareintensive eingebettete Systeme sind das Herz des Internet of Things. Sie überwachen und steuern physikalische Vorgänge mit Hilfe von aktiven und passiven Sensoren, vernetzen sie mit Diensten im Internet und machen sie so effizienter und intelligenter.

MECHATRONIK: Welche Herausforderungen stellt die Cyberwelt an Embedded Systems?
Dorst: Wesentliche Treiber der genannten Entwicklung sind allgegenwärtige Digitalisierung, mobile Dienste und das Internet als Plattform für wirtschaftliche und soziale Kooperation. Um das Potenzial von Embedded Systems noch besser auszuschöpfen, wird derzeit weiter an der Verknüpfung von Software mit dem mechanischen Produkt gefeilt. Dabei sollte der vielfältige gesellschaftliche und wirtschaftliche Nutzen der Datenverarbeitung im Mittelpunkt stehen. Zugleich sollten Entwickler Fragen der Betriebs- und IT-Sicherheit sowie des Datenschutzes immer gleich mitdenken.


„Fachübergreifendes Wissen gefragt“


Bild: OSADL
Dr. Carsten Emde (Bild: OSADL)

Dr. Carsten Emde, Geschäftsführer Open Source Automation Development Lab (OSADL)

MECHATRONIK: Wie ist der Status quo zu domänenübergreifendem Know-how im Sinne eines Mechatronikgedankens – vor allem in Hinblick auf Bestrebungen modellbasierten Engineerings und modellbasierter Verifikation?
Emde: Als OSADL vor etwa zehn Jahren gegründet wurde, stand natürlich dies alles im Raum. Man wollte domänenübergreifendes Software-Know-how für die Industrie aufbauen - angefangen von einem frei verfügbaren weitgehend skalierenden echtzeitfähigen Betriebssystem über spezielle Treiber für industrielle Anforderungen bis hin zu einem Framework für Applikations- Entwickler.

MECHATRONIK: Welchen Teil leistet OSADL daran?
Emde: Genau wie man beim Hausbau muss man mit dem Keller beginnen und weil das Betriebssystem sozusagen den Keller eines Embedded-Systems darstellt, haben wir uns natürlich zunächst mit Linux und dessen Echtzeitfähigkeit beschäftigt. Das bedeutete, Mitglieder zu werben, um die Entwicklungskosten schultern zu können. Aber es mussten auch die vielen anderen Dinge bereitgestellt werden, die Open-Source-Software nun mal nicht mitbringt: Qualitätssicherung, Schulungsveranstaltungen, Beispiel-Implementierungen, Board-Support, juristische Beratung für die lizenzkonforme Vertragsgestaltung oder Konzepte zur Sicherheitszertifizierung.

MECHATRONIK: Wo stehen Sie mit Ihrem „Hausbau“ aus heutiger Sicht?
Emde: Obwohl wir auch ein bisschen stolz auf das alles sind, was wir zu Linux und dessen Verwendbarkeit in der Industrie beigetragen haben, so müssen wir doch zugeben, dass wir uns beim Hausbau immer noch im Keller befinden und die Fertigstellung der oberen Etagen auf die Zukunft verschieben mussten.

MECHATRONIK: Welche Herausforderungen stellt die Cyberwelt an Embedded Systems?
Emde: Interessanterweise ist die wirklich große Herausforderung an Embedded-Systeme im Zusammenhang mit weltweit gesponnenen Netzwerken genau auch diejenige Herausforderung, die viele Embedded-Systeme bis heute noch nicht einmal im Kleinen beherrschen - nämlich die zuverlässige Authentisierung und Autorisierung von Verbindungspartnern.

MECHATRONIK: Wie sieht dies faktisch aus und welches sind vermutliche Folgen?
Emde: Erstens – Netzwerk-Software und die damit verbundenen Server-Programme werden vermutlich nie fehlerfrei sein, das heißt es werden auch in Zukunft regelmäßig Sicherheitslücken in installierten Produktivsystemen entdeckt werden, sodass Unberechtigte Zugang zu den Systemen erlangen können.
Zweitens – Um nach der Auslieferung von Embedded-Systemen entdeckte Sicherheitslücken beheben zu können, müssen die Systeme notwendigerweise über einen zuverlässigen Mechanismus zum Software-Update verfügen.
Drittens – Um die Allgemeinheit vor unzureichend geschützten Systemen zu schützen, wird es in naher Zukunft ein hoheitlich organisiertes Abnahmesystem mit Zulassungsstellen geben müssen. Nicht zugelassene Systeme werden dann von der jeweiligen Netzwerk-Infrastruktur abgewiesen. Es wird also eine Pflicht zur Zertifizierung der Zugangskontrollsysteme geben.
Und letztlich warten neben technischen Herausforderungen im besonderen Maße juristische, administrative und politische Herausforderungen auf uns. Dafür ist fachübergreifendes Wissen gefragt.


„Keine wirklichen Standards“


Bild: M2M Alliance
Eric Schneider (Bild: M2M Alliance)

Eric Schneider, Vorstandsvorsitzender M2M Alliance

MECHATRONIK: Wo liegen derzeitige Technologie- und Anwendungsschwerpunkte eingebetteter Hard- und Softwaresysteme?
Schneider: Technologisch ist nach wie vor eine wirklich sichere Ende-zu-Ende Kommunikation, die über einen einfachen VPN-Tunnel hinausgeht, ein Schwerpunkt, und wie sie zum Beispiel mittels eines hardwarebasierenden Secure Elements mit entsprechenden Zertifikaten und Verschlüsselung realisiert werden kann. Anwendungsschwerpunkte sind ein sicheres Design, das bereits in der Sensorik beginnt.

MECHATRONIK: Welche Herausforderungen stellt die Cyberwelt an Embedded Systems?
Schneider: Über die benannten Schwerpunkte hinaus sind skalierbarkeit und offene, kompatible Schnittstellen, die auch die Kommunikation von Komponenten und Systemen unterschiedlicher Hersteller erlauben, Herausforderungen, die wir bewältigen müssen.

MECHATRONIK: Wie ist der Status quo zu domänenübergreifendem Know-how im Sinne eines Mechatronikgedankens – vor allem in Hinblick auf Bestrebungen modellbasierten Engineerings und modellbasierter Verifikation?
Schneider: Da es bislang keine wirklichen Standards gibt, ist jede Branche alleine unterwegs. Auch das ist eine der Herausforderungen, denen wir uns in Zukunft stellen müssen.


„Große wissenschaftliche Herausforderungen“


Bild: TU München
Prof. Manfred Broy (Bild: TU München)

Prof. Manfred Broy, Lehrstuhl Software & Systems Engineering an der Fakultät für Informatik der TU München

MECHATRONIK: Wie ist der Status quo zu domänenübergreifendem Know-how im Sinne eines Mechatronikgedankens – vor allem in Hinblick auf Bestrebungen modellbasierten Engineerings und modellbasierter Verifikation?
Broy: In heutigen, sogenannten mechatronischen Systemen wird Software dominanter. Die Funktionslogik sogenannter cyber-physischer Systeme ist weitgehend durch Software bestimmt. Entscheidend für das modellbasierte Engineering und die modellbasierte Verifikation ist letztlich eine übergreifende Modellierung von Software, elektronischer Hardware und Mechanik in einem integrierten Ansatz.
In den vergangenen Jahren wurde zu diesem Thema auf wissenschaftlicher Seite eine Reihe von Fortschritten erzielt, allerdings sind die wissenschaftlichen Herausforderungen tatsächlich immer noch sehr groß, da es darum geht, digitale Modellierung – wie sie in der Software typischerweise auftritt – mit kontinuierlicher Modellierung aus der Regelungstechnik und klassischen Modellbildungen aus der Mechanik und dem Maschinenbau – insbesondere im Zusammenhang mit Produktdatenmodellierung – in einen Ansatz zusammenzuführen. Aus praktischer Sicht bedeutet das, dass die heutigen PDM-Systeme um Modellanteile erweitert werden müssen, die das Verhalten von Systemen im Sinne von eingebetteter Software erfassen.
Bei der Modellierung von Systemen mit eingebetteter Software haben wir tatsächlich entscheidende Fortschritte erzielt. Es gibt inzwischen einige gut ausgearbeitete Ansätze und Methoden, die auch schrittweise in die praktische Umsetzung kommen. So wurde 2015 das Projekt sPEs XT (Software Plattform eingebettete Systeme) abgeschlossen. Anfang dieses Jahres startete das Projekt sPEDIT, in dem die Ergebnisse von sPEs XT für die Praxis aufbereitet werden. In diesen Ansätzen stehen die modellbasierte Entwicklung und gerade auch die modellbasierte Verifikation von Systemen mit eingebetteter Software im Mittelpunkt.


„Wachstumsmotor für die deutsche Industrie“


Bild: GMM
Dr. Ronald Schnabel (Bild: GMM)

Dr. Ronald Schnabel, Geschäftsführer der VDE/VDI-Gesellschaft Mikroelektronik Mikrosystem- und Feinwerktechnik

MECHATRONIK: Welchen Markt stellen Embedded Systems in Deutschland dar?
Schnabel: Wie kaum eine andere Technologie stellen die Embedded Systems den Wachstumsmotor für die deutsche Industrie dar. Innovationen in fast allen Industriebereichen – von der Telekommunikation bis zum Fahrzeug- und Maschinenbau – werden wesentlich durch neue Funktionalitäten realisiert, die durch Mikroelektronik und Elektronikkomponenten zur Ausprägung gebracht werden. Vielfach wird bei Embedded Systems vordergründig an Softwarelösungen gedacht.
Man darf allerdings nicht vergessen, dass ein leistungsfähiges Zusammenspiel von Soft- und Hardware nötig ist, um die Gesamtlösung umzusetzen. Um hier einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, sind moderne Ansätze – sowohl für Soft- als auch für Hardware – nötig. Die Bedeutung der Hardware zeichnet sich übrigens auch im Marktvolumen ab, liegt doch im Bereich der Embedded Systems schon seit Jahren der erzielte Umsatz für Hardware mehr als doppelt so hoch wie für Software.

MECHATRONIK: Wo liegen derzeitige Technologie- und Anwendungsschwerpunkte eingebetteter Hard- und Softwaresysteme?
Schnabel: Besondere Bedeutung wird den Embedded Systems durch die Aktivitäten zu Industrie 4.0 und Internet der Dinge zuteil. Hier wird erwartet, dass sich die Anzahl der Systeme in absehbarer Zeit potentiell ansteigend entwickeln wird. Verteilte Intelligenz ist dazu das einzige Mittel, um die Datenflut und vor allem den Vernetzungsaufwand in den Griff zu bekommen. Ein weiteres Feld, für das Embedded Systems Lösungen liefern und zur Lösung beitragen werden, ist Cyber Security. Der Angriff bereits auf der Ebene der Sensoren stellt eine neue Herausforderung dar. Es ist völlig klar, dass solche Angriffe auf höheren Systemebenen nicht mehr zu korrigieren sind.

Die Fragen stellte Nico Schröder, Chef-Redakteur MECHATRONIK.


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